Frau Westphal (Vorname unbekannt), geborene Klunk aus Tilsit; geboren 1790, gestorben um 1845.
Es existiert keine Abbildung von Frau Westphal und kein Denkmal - nur ein Bild ihres noch heute bekannten Produktes. Sie brachte die Herstellung von Tilsiter Käse
auf eine einheitliche Grundlage.
Sie wurde bisher nur in einem Artikel "Der Tilsiter Käse"
von Dr. Frank Roeb und Dr. Carl-Ludwig Riedel geehrt (Deutsche Molkerei-Zeitung 130. Jg. 2009, Heft 2, Seite 28 bis 31).
Der Tilsiter Käse
- Geschichte und Gegenwart -
Dr. Frank Roeb und Dr. Carl-Ludwig Riedel (1,2)
1. Auszug aus der Dissertation von F. Roeb "Käsebereitung und Käsespeisen in Deutschland seit
1800", Universität Mainz 1976,
S. 99 – 104, 121 (329 Seiten, 18 Karten, 529 Literaturzitate)
2. Einführung, Ergänzungen und Anmerkungen von Dr. C.-L. Riedel, Krefeld
Wer der Geschichte der Käseherstellung nachforscht, stößt irgendwann unweigerlich auf die Frauen, die jeweils mit der Kreation eines ganz besonderen Käses ihre Spuren in dieser Sparte hinterlassen haben. So führten mich meine diesbezüglichen Erkundungen auch zu Frau Westphal, geb. Klunk, geboren in Szillen / Ostpreußen. Leider waren in der milchwirtschaftlichen Literatur bisher ebenso wenig wie in Szillener bzw. Tilsiter Tauf- und Trauverzeichnissen nähere Angaben zu Frau Westphal zu ermitteln (vgl. Tilsiter Rundbrief, Kiel, Ausgabe 2005 / 2006, S. 127 – 128), so dass sie für uns als historische Figur noch weitgehend in Dunkeln bleibt. Über andere Vertreterinnen ihrer Zunft weiß man schon mehr und drei Frauen von ihnen wurden immerhin im Laufe der Zeit mit einem Denkmal bzw. einer Gedenktafel bedacht:
Maria Reymer, verheiratete Awater bzw. Voss (1803 – 1852), die den ersten Holländer Käse in Deutschland im Jahr 1825 auf dem Gut Hogefeld bei Rindern bzw. Cleve am Niederrhein herstellt (Gedenkplatte mit Bronzehalbrelief 1925; 1948 zerstört; 1980 durch eine neue ersetzt; 2002 Restaurierung des Originals und Aufstellung in der MLUA Krefeld; seit 22.11.2006 Museum Arenacum in Rindern bei Kleve).
Marie Harel, geb. Fontaine (1761 – 1844), Begründerin der Camembertherstellung in Frankreich, wurde 1927 in Vimoutiers, Ortsteil Camembert, ebenfalls mit einem Denkmal geehrt (Einweihung am 11.04.1928 durch den ehemaligen Präsidenten der Französischen Republik, Alexandre Millerand; 1944 kriegsbedingt zerstört und nur noch ohne steinernes Haupt und ohne Gedenkplatte erhalten; 1956 Aufstellung einer neuen Statue, gestiftet von dem amerikanischen Käsehersteller Borden's Cheese Company, Borden/Ohio).
Für Agathe Zeis (1840 – 1887), die am 01.07.1880 den Camembert und Brie in der "Französischen Käserei" in Heinrichsthal/Sachsen einführte und seit 26.11.1883 Hoflieferantin des Königs Albert von Sachsen wurde, war seinerzeit ein Denkmal in Zürich geplant (vom Verein der deutschen Molkereibesitzer), das jedoch nie zur Ausführung kam. In den Heinrichsthaler Milchwerken, die in Radeberg/Sachsen liegen, wird Frau Zeis seit 1937 durch eine Gedenktafel geehrt.
Und von Frau Westphal haben wir bisher einzig ihre wohlschmeckende Hinterlassenschaft, den pikanten Tilsiter Käse, weshalb der im Folgenden abgedruckte Auszug sozusagen ein gedrucktes Denkmal für sie sein möge.
Allgemeine Voraussetzungen für die Labkäsebereitung
in Nordostdeutschland
Wie in Schleswig-Holstein wurde auch die Milchwirtschaft in Nordostdeutschland seit dem ausgehenden 17. und dem 18. Jahrhundert maßgeblich von den eingewanderten Holländern geprägt. Zusätzlich kamen seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Schweizer Senner ins Land, und sogar aus dem Salzburgischen rief man vereinzelt Fachleute für die Käsebereitung nach Ostpreußen. Aus diesen Gründen ließ sich die Käsebereitung in diesem Teil Deutschlands im wesentlichen auf zwei Traditionsstränge zurückführen, einen holländischen und einen schweizerischen. Über den Bereich West- und Ostpreußens hinaus haben aber nur wenige Käse einen größeren Bekanntheitsgrad erlangt. Als erstes wäre hier der Tilsiter Käse zu nennen, gefolgt vom Werder- oder Niederungskäse. Alle anderen Käsearten wurden nahezu ausschließlich regional gehandelt oder von den Produzenten selbst verzehrt.
Der Tilsiter Käse und verwandte Arten
Für die Nahrungsethnologie ist der Tilsiter Käse von besonderer Bedeutung, da an ihm die Wege seiner Verbreitung und Einführung in Landschaften außerhalb Ostpreußens einigermaßen genau nachgezeichnet werden können. Dadurch, dass er erst relativ spät zum "Markenartikel" wurde, und dies in eine Zeit fiel, in der die Milchwirtschaft zunehmend von den Agrariern entdeckt wurde, hat man in der einschlägigen Literatur immer wieder auf ihn verwiesen (Tabelle 1).
Übereinstimmend wurde die "Erfindung" des Tilsiter Käses einer Frau Westphal aus Tilsit zugeschrieben. Es war aber nicht ihr Verdienst, einen völlig neuen Käsetyp hervorgebracht zu haben, sondern die geschäftstüchtige Ostpreußin hat, wie ein halbes Jahrhundert zuvor Mme. Harel beim Camembert, nur ein überliefertes Herstellungsverfahren ein wenig abgeändert und schriftlich festgehalten. Das soll sich um 1840 zugetragen haben. Davor stellten die Ostpreußinnen, Senner oder Holländer in den milchwirtschaftlichen Betrieben oder auf dem Hof auch schon Käse her, die dem späteren Tilsiter in etwa vergleichbar waren. Es sei hier nur an den sog. Ragniter erinnert, der häufig mit dem Tilsiter in einem Atemzug genannt worden ist. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts war Tilsiter ausschließlich zwischen Memel und Pregel beheimatet, die Herstellung drang jedoch von dort aus weiter nach Westpreußen und Pommern vor. In Mecklenburg wurde er auf dem Gut Raden in der Zeit von 1878 bis 1886 eingeführt. Sehr bald, wenn man bedenkt wie lange es dauerte, bis man Emmentaler im Allgäu herstellte, wurde Tilsiter in der Schweiz bekannt und von einigen frühen Übernehmern ebenfalls seit 1896 bereitet. Auf breiter Basis, d. h. durch eine Vielzahl von Käsereien und Sennereien hat man ihn hier vor 1900 aber noch nicht verfertigt, obgleich im Kanton Waadt 1897 viele potentielle Interessenten für dieses Milchprodukt vorhanden waren.
Die Allgäuer Käsereien, die sich für die Innovierung zahlreicher in- und ausländischer Käse verantwortlich zeigten, nahmen den Tilsiter erst im Jahre 1901 in ihr Sortiment auf. In Schleswig-Holstein wurde seine Herstellung noch später eingeleitet, denn es liegen Nachrichten vor, dass dort die Tilsiterbereitung nicht wesentlich vor 1900 aufgenommen worden sei, danach hat man sie sogar staatlich gefördert.
Tab. 1: Geschichte und Verbreitung des Tilsiter Käses
(Roeb, 1976; Riedel, 2008)
1790 – 1800 |
Vorläufer des Tilsiter Käses (Brioler Käse nach Limburger Art) auf dem Gut Birjolen (Birjohlen) bei Tilsit |
1822 |
Verlegung der Käserei vom Gut Birjolen nach Tilsit:
Wirtschafterin: Fräulein Klunk, 1822 verheiratete Frau Westphal |
um 1840 |
Zwischen Pregel und Memel (W. Kirchner, Handbuch der Milchwirtschaft, 6. Auflage, 1919, S. 616) |
nach 1840 |
Westpreußen (W. Kirchner, 1919, S. 616) |
1878 – 1886 |
Gut Raden bei Güstrow / Mecklenburg (W. Fleischmann / H. Weigmann, Lehrbuch der Milchwirtschaft, 7. Auflage, 1932, S. 762);
hier befand sich bis 1886 die erste Milchwirtschaftliche Lehr- und Untersuchungsanstalt Deutschlands mit 114 Eleven und 334 Hospitanten aus Deutschland und 14 Ländern der Welt (B. Pundt, Dissertation, Berlin 1970, S. 131), die die Herstellung von Tilsiter sicher weiter verbreitet haben |
1893 / 1896 |
Überführen der Tilsiter-Herstellung aus Ostpreußen in die Schweiz / Thurgau (H. Wegmüller, O. Wartmann) |
1897 |
- Schweiz/Kanton Waadt als "Sarrasin blanc, genre Tilsit"
(W. Fleischmann / H. Weigmann, 1932, S. 762)
- Brioler Käse als weicher Labkäse, Tilsiter Niederungskäse
(Elbinger, Werderkäse) in Ost- und Westpreußen
(Meyers Konversationslexikon, 5. Auflage 1897, 9. Band, S. 993) |
1898 |
Erster Tilsiter Käse in Schleswig-Holstein |
1901 |
Allgäu (W. Fleischmann / H. Weigmann, 1932, S. 763) |
1904 |
Gesetzlicher Schutz der Käsemarke
Tilsiter im Maule durch die Käsegroßhandlung
E. Bauer, Hamburg |
um 1920 |
Schleswig-Holstein (L. Middelhauve, Geschichte und Entwicklung der Schleswig-Holsteinischen Milchwirtschaft, Kappeln, o. J., S. 45) |
1928 |
In Saußeningken (Milchhof) entsteht eine Lehranstalt für Tilsiter Käse |
1933 |
Die 1840 in Tilsit, Deutsche Straße 38 von Frau Westphal gegründete Käserei existiert noch als "Westphal Nachfl., Inh. Otto Braun"
(Adressbuch Tilsit 1933) |
1934 |
Tilsiter wird in die erste deutsche Käseverordnung als Schnittkäse aufgenommen |
1940 |
Mindestlagerzeit für Tilsiter mit 40 bis 45 Fett in der Trockenmasse: Sechs Wochen
(M. E. Schulz, Molkerei-Lexikon, 2. Auflage, 1944, S. 470) |
1946 |
7. April 1946, Umbenennung der Stadt Tilsit in Sowjetsk |
1948 |
Tilsiter-Marktordnung in der Schweiz ( ZVSM, Bern 1982, S. 351) |
1951 |
Fettstufen, Mindesttrockenmassegehalte, Größe, Gewicht und sensorische Anforderungen für Markenkäse in deutscher Käseverordnung festgelegt |
1961 (6) |
DDR-Landwirtschaftsministerium lässt Tilsiter in vorauseilendem gehorsam in Tollenser Käse umbenennen, da Tilsit seit 1945 zur Sowjetunion gehörte, in Sowjetsk umbenannt wurde und keine Heimatgefühle von Ostpreußen mehr geweckt werden sollten (6) |
1973 |
Royalp als neuer Käsename für Tilsiter in der Schweiz (rotes Etikett = aus Rohmilch; grünes = aus pasteurisierter Milch; goldfarbenes = Rahmtilsiter (ZVSM, 1982, S. 352 – 353) |
1974 |
Tilsiter wird in Lettland als Lettischer Käse mit Schmierebildung bezeichnet (H. Mair-Waldburg, Handbuch der Käse. Käse der Welt
von A – Z, 1974, S. 563 – 564), in österreich als Stangenkäse
(H. Mair-Waldburg, S. 751); in der Sowjetunion und Russland ist die Bezeichnung Tilsiter verschwunden |
1981 |
Tilsiter aus Rohmilch und Tilsiter pasteurisiert werden in der Schweiz als Sortenbezeichnungen festgelegt; Herstellung vor allem in den Kantonen Thurgau, St. Gallen, Zürich (Verordnung über die Bezeichnung von Schweizer Käse vom 10.12.1981) |
1995 |
Tollenser wird als geographische Herkunftsbezeichnung nach der
EG-Verordnung 2082/92 in die deutsche Käseverordnung aufgenommen (Herstellung nur in den Landkreisen Altentreptow, Teterow, Malchin, Demmin, Neubrandenburg Stadt und Land);
die Bezeichnung Tilsiter bleibt erhalten (Mindestreifezeit fünf Wochen; gut angetrocknete Schmiere; auch rindenlos) |
2004 |
Tilsiter erscheint als Stichwort in der Wikipedia, der freien
Enzyklopädie im Internet |
2007 |
1. August; der Name Tilsit wird in Erinnerung an Otto Wartmann in der Schweiz (1893/96) an die Käserei Holzhof in der Gemeinde Bisseg bei Weinfelden im Kanton Thurgau verliehen
Die Rückbenennung von Sowjetsk in Tilsit wird in Russland erwogen
(37. Tilsiter Rundbrief 2007/2008, Kiel, S. 89 – 98)
|
Nach allgemeiner Auffassung war Tilsiter holländischen Ursprungs und sein Herstellungsverfahren, abgesehen von den Veränderungen, die Frau Westphal vornahm, von holländischen Einwanderern nach Norddeutschland mitgebracht worden. Betrachtet man sich aber einmal die einzelnen Arbeitsschritte während seiner Bereitung genauer, dann kann nicht mehr auf holländischen Ursprung geschlossen werden: Vieles deutet auf schweizerische Abkunft hin, denn der frisch zerteilte Bruch wurde nachgewärmt, wie dies bei nahezu allen Schweizer Käseprodukten der Fall war; im Anschluss hat man in Ostpreußen sehr häufig den Bruch mit einem Leinentuch aus dem Kessel genommen – gleichfalls ein unverkennbar schweizerischer Arbeitsvorgang bei der Käsebereitung. Das war möglich, weil in Ostpreußen seit der Einwanderung Schweizer Senner bzw. Männer in Betrieben tätig waren, die das gefüllte Tuch herausheben konnten.
Nicht ohne Grund fand Tilsiter daher so schnell Zugang zu den Käsereien und Sennereien der Schweiz, denn seine Bereitungsart kam den üblichen Käsereitechniken sehr entgegen. Kirchner (1919) stellte sogar fest, bei der Tilsiterfabrikation erfolge "das Überlegen, Schneiden und Verziehen ganz ähnlich wie bei der Bereitung des Emmentaler Käses".
Die genannten Kriterien sind m. E. Hinweise darauf, dass die herrschende Meinung, Tilsiter stamme ursprünglich aus Holland, stark anzuzweifeln ist. Als Herkunftsland ist mit einiger Sicherheit die Schweiz anzusehen, wenn auch manche Elemente der schweizerischen Käsebereitung inzwischen verloren gegangen sind.
K. Schützler vertrat in seiner "Geschichte der ostpreußischen Käserei" von 1933 ebenso die Auffassung, Tilsiter sei von Schweizer Sennen nach Ostpreußen gebracht worden, und dort habe sich das Herstellungsverfahren den bereits vorhandenen angeglichen. Neben dem "Nachwärmen" als Indiz für eine "maßgebliche Beeinflussung durch die Schweizer Käserei" führte er noch die "Verwendung runder, heizbarer Kupferkessel für die Käseherstellung" an. Dem kann man nicht so recht zustimmen, weil seit dem 19. Jahrhundert heizbare Kessel in vielen größeren milchverarbeitenden Betrieben eingeführt wurden, ohne dass Schweizer Sennen dahintergestanden hätten. Die Leinentücher, mit denen der Bruch aus dem Kessel herausgehoben wurde, nannte Schützler nicht, ebenso wenig ging er auf die Tatsache ein, dass Tilsiter gar nicht oder nur ganz leicht gepresst wurde. M. E. erschwerte gerade dieser Umstand die Klärung der Herkunft des Käses, denn bis auf die ausgesprochenen Weichkäse oder Frischkäse (Backsteinkäse, Limburger, Romadur, Labquark) wurde in Deutschland Labkäse überall gepresst.
Des weiteren bereitete die Klassifizierung des Tilsiters vielen Fachleuten Kopfzerbrechen. So ordneten ihn die einen bei den Weichkäsen ein, die anderen bei den Hart- und Schnittkäsen. Hinzu kommt noch, dass Tilsiter in der Schweiz im Allgäu auf andere Art hergestellt wurde als in seiner ostpreußischen Heimat. Ansonsten entsprach die Tilsiterbereitung weitgehend der Bereitung eines normalen Labkäses, allerdings wurde der Bruch intensiver zerkleinert als beispielsweise beim Emmentaler, auch war er nicht so lange lagerfähig wie andere Labkäse.
Einfacher war die Herkunft des Werderkäses und seiner verwandten Arten zu klären, denn diese neben dem Tilsiter bekannten Erzeugnisse aus der nordostdeutschen Milchwirtschaft ließen sich alle auf einen Mennonitenkäse des 17. Jahrhunderts zurückführen: "Er wurde richtungsgebend für die westpreußische Käserei und in dem gleichen Maße, in dem die übrige bodenständige Käserei den Typ des Mennonitenkäses übernahm, wurde er zum Werder-Käse der Marienburger und Elbinger Niederung, bis dann im 19. Jahrhundert andere Käsetypen ihn verdrängten und er als Elbingerkäse zu einer Käsesorte mehr lokaler Bedeutung herabsank"
(vgl. Abb. 1).
Um 1910 haben offensichtlich noch einige wenige Mennonitenhöfe existiert, die den Werderkäse bereiteten. Die Herstellung war ihr (der Mennoniten) Geheimnis, und den Käse gaben sie nur an gute Freunde und in bestimmte Kaufläden ab (Roeb, S. 121).
Auch die Entwicklung dieses (Elbinger) Käses wurde hauptsächlich durch die Initiative einzelner fachkundiger Personen beeinflusst, die abermals ein überliefertes Käsereiverfahren modifiziert und in der Gestalt des "Elbinger Käses" standardisiert haben. Noch im 19. Jahrhundert hoben sich die Werder-, Elbinger- oder Niederungskäse in der Herstellung deutlich vom Tilsiter und seiner Vorläufer ab. Die Erstgenannten wurden wie holländische Käse bereitet und unterschieden sich nur unwesentlich von den Produkten, die zur gleichen Zeit in Schleswig-Holstein verfertigt wurden. Seit etwa 1900 konnte man aber in Ost- und Westpreußen allgemein eine Angleichung der Werderkäsebereitung an die Tilsiterbereitung konstatieren; der Bruch wurde bei beiden nachgewärmt und die frische Käsemasse bei dem einen wie bei dem anderen nicht mehr gepresst.
Anmerkung 1:
Im obigen Artikel wurde auf die genauen Literaturverweise verzichtet; Interessierte seien auf die Angaben in der Dissertation verwiesen (s. Fußnote 1).
Anmerkung 2:
Vorgänger des Tilsiter Käses sind die heute selbst in guten Käselexika nicht mehr erwähnten Sorten "Ragniter Käse", "Brioler Käse" und "Woriener Käse". Nach Dr. W. Fleischmann, Lehrbuch der Milchwirtschaft, 4. Auflage 1908, S. 332 und S. 342 handelt es sich beim Ragniter um einen ostpreußischen Käse, der den Tilsiter Käsen in jeder Beziehung sehr ähnlich ist; beim Brioler und Woriener Käse um in Ostpreußen beheimatete Nachahmungen der Limburger Käse (Gewicht, Maße, zweiwärmig). Die Woriener Käse sind nach dem Gute Worienen, Kreis Preußisch Eylau benannt und wurden zuerst von E. Börner gemacht. Der Name Brioler soll von dem Gute Birjohlen bei Tilsit stammen, wo diese Käse angeblich schon vor 100 Jahren von einer Frau Westphal bereitet wurden. Der Zusammenhang mit dem Limburger Käse, dessen äußeres wie der Tilsiter eine gelbbraune bis rötliche Farbe aufweist und dessen Schmiere leicht klebrig, aber weder flüssig noch trocken sein soll, ist deutlich. Nach Angaben von W. Köster im Käselexikon von 1970 war Brioler Käse ein Weichkäse bzw. Fettkäse nach Limburger Art; bei 39 °C wurde die Milch in 20 Minuten dickgelegt, nicht nachgewärmt und der Bruch nicht gepresst; der Käse kam in einen trockenen Reifungsraum und war in vier bis sechs Wochen konsumreif. Naturgereifter Tilsiter soll im äußeren eine gut angetrocknete Schmiere aufweisen, die ebenfalls gelblich-rötlichbraun sein soll. Diese Färbung wird durch sogenannte Rotschmierekulturen erreicht, die zumeist aus Brevibacterium linens und Hefen bestehen und gemeinsam mit Salzwasser nach der entsprechenden Käsepflege im Reifungskeller zur typischen Pigmentierung und Reifung des Tilsiters beitragen. ähnliches gilt für den Limburger Käse.
B. linens könnte über das Schmieren des Tilsiter Käses mit Meersalzlösungen auf die Oberflächen gelangt sein, da der natürliche Standort dieses Bakteriums Salzwasserfische sind (H. Seiler, 2003).
Anmerkung 3:
Ebenso wie fast nichts über Frau Westphal bekannt ist, trifft dies auch auf die von ihr aufgestellten "festen Regeln" zu, die sie für die Vereinheitlichung der Tilsiterherstellung empfahl. Die ostpreußischen Regeln, nach denen in Deutschland gekäst wird, wurden von in die Schweiz zurückkehrenden Sennern allerdings so modifiziert, dass "Schweizer Tilsiter" noch zum Teil aus Rohmilch hergestellt wird, eine erbs- bis kirschkerngroße Lochung aufweist und im Gegensatz zum ostpreußischen Tilsiter, der eine Schlitzlochung haben soll, leicht gepresst wird. Er wird während der Reifezeit wie üblich geschmiert.
Anmerkung 4:
Die ersten Schweizer aus den Kantonen Bern, Zürich, Graubünden und Glarus, die meist aus wirtschaftlichen Gründen nach Ostpreußen einwanderten, siedelten bereits 1710, d. h. nach der in Ostpreußen 1709 / 1710 herrschenden Pestepidemie, in den Orten Pieragienen, Gumbinnen, Judtschen, Mixeln und Szemkuhnen. In Ostpreußen war damals mehr als ein Drittel der Bevölkerung gestorben; 10 834 Bauernhöfe waren ausgestorben, allein in den ämtern Insterburg, Ragnit, Tilsit und Memel 8 411 Bauernstellen.
Anmerkung 5:
Werderkäse war ein halbfester Schnittkäse, der auch als Niederungs- oder Elbingerkäse (nach der Stadt Elbing) benannt wurde. In den Niederungen (Werder) der Weichsel und Nogat bereiteter laibförmiger halbfetter oder fetter Käse; wahrscheinlich von der Mitte des 16. Jahrhunderts aus den Niederlanden nach Ostpreußen gezogenen Mennoniten oder schon früher nach dort umgesiedelten Holländern erstmalig eingeführt (1550 – 1570). Er war ein sehr weicher Tilsiter und laut Käseverordnung von 1951 nicht mehr zugelassen; 5 – 12 kg schwer, 25 – 50 cm im Durchmesser, 8 – 10 cm hoch, hatte eine geringe geschlitzte Lochung und war im Geschmack säuerlich bis mild aromatisch. Während der Reifung, die gleichmäßig durch die ganze Masse erfolgt, bedeckte er sich mit Weißschimmel. Durch seinen niedrigen Salzgehalt wurde er auch im Alter nicht schärfer im Geschmack. Dieser Niederungskäse hatte nur örtliche Bedeutung (W. Köster, Käselexikon, 1970, S. 493).
Anmerkung 6:
Es wurde wohl bewusst eine geographische Bezeichnung (Tollense-See bei Neubrandenburg) mit gleichem Anlaut bzw. gleicher Silbenzahl in Mecklenburg und mit
dort vorhandenen Tilsiterkäsereien
gewählt (R. Bruncke, Persönliche Mitteilung 1970; G. Jost, Persönliche Mitteilung 2006).
ZVSM = Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten: 75 Jahre ZVSM. Die schweizerische Milchwirtschaft zu Beginn der achtziger Jahre, Bern 1982
Gutskäserei Birjohlen bei Tilsit
Ansicht des Gutshauses Adlig-Milchbude (
www.bildarchiv-ostpreusen.de)
Ein milchwirtschaftlich historisches Haus in Tilsit,
Deutsche Straße Nr. 38;
(Erste Herstellung von Tlsiter Käse nach festen Regeln durch Frau Westphal im Jahr 1840)
aus der Molkerei-Zeitung, Hildesheim 52. Jg. (1938) 64/65, S. 1872
Schutzmarke aus Hamburg "Tilsiter im Maule"
Käsewerbung für deutschen Tilsiter in den 60er Jahren
"Entschädigung verdrängter Schweizer durch Polen"
aus der Molkerei-Zeitung "Welt der Milch", 5 Jg. (1954) Heft 26, S. 1304
"Milch und Käse im Landkreis Tilsit. Eine historische Betrachtung im Jahr 2010"
Ein Beitrag von Dr. Carl-Ludwig Riedel (ehemals Milchwirtschaftliche Lehr- und
Untersuchungsanstalt Krefeld)
Zusammenfassung
Im Beitrag wird versucht 73 Jahre nach der Standardisierung der Herstellung von Tilsiter Käse (1840 / 1913) den Stand der Milch- und Käsereiwirtschaft im Landkreis Tilsit anhand eines Adressbuches von 1913 aufzuzeigen. Käsereien sowie Haus - oder Gutskäsereien waren für den Landkreis Tilsit typisch. Schweizer Namen tauchen selten als Meierei- oder Käsereibesitzer auf, holländische Namen können nur vermutet werden, da typische ostpreußische Namen überwiegen. Da über die Milchwirtschaft in Ostpreußen direkt vor und im 2. Weltkrieg wesentlich mehr bekannt ist, soll dieser Beitrag die historische Lücke zum 19. Jahrhundert schließen helfen.
Ob ein Enkel von Frau Westphal, geb. Klunk, ein aus Tilsit in die USA Ausgewanderter - ein August Westphal , the Cheese King - einer der Gründer von 50 Käsereien in Hartford / Wisconsin und Umgebung wurde - ist derzeit noch unklar. Er stellte dort vor allem Schweizer Blockkäse her. Angeblich waren Mitglieder der Familie Westphal preußisch-schweizerische Siedler, die ehemals aus dem Emmental der Schweiz nach Tilsit kamen ( Westphal, 1887).
Die Suche nach Verwandten von Fräulein Klunk aus Szillen, verheiratete Westphal, deren Vorname und Lebensdaten schon 1933 fehlten und immer noch unbekannt sind, und die verantwortlich an der Entwicklung des Tilsiter Käses mitwirkte, führte über alte Adressbücher von Tilsit 1913 , Memel 1929 und genealogy. net zu neuen Erkenntnissen.
Über Frau Westphal, geb. Klunk, geboren vermutlich 1790 in Szillen / Schillen oder Birjohlen (gestorben vermutlich um 1845 ), 1822 verheiratet mit dem Glasermeister August (?) Westphal ist bisher wenig bekannt. Sie entwickelte den Brioler ( Birjohlener ) Käse weiter, einen damals 0,6 bis 0,7 kg schweren Weichkäse ( damalige Definition) nach Limburger Art. Sie tat dies um 1803 auf dem Gut Birjohlen bei Tilsit durch eine Vereinheitlichung der Herstellungsvorschriften der Gegend; damals noch als die unverheiratete Wirtschafterin Fräulein Klunk. Dies war die "Geburtsstunde" des ungepressten Tilsiter Käses. Dieser Käse hatte Gewichte von 500 g bzw.3,5 und 5 kg, war 8 bis 10 cm hoch und hatte einen Durchmesser von 20 bis 30 cm.
Das Gut Birjohlen gehörte damals einem Landbaumeister Braun oder einem Kaufmann Nesselhauff bzw. Nessloff aus Tilsit (s.u.).
1822 erfolgte nach der Heirat der Fräulein Klunk durch die Familie Westphal eine Verlegung dieser Käserei nach Tilsit und eventuell eine Schließung der Gutskäserei Birjohlen. Nach 1829 ist in Tilsit in der Deutschen Straße 38 die "Milchwirtschaft" eines Joh. Kühr nachgewiesen. 1840 erwirbt die Familie Westphal dieses Grundstück und errichtet mit ihrem Sohn Heinrich dort eine Käserei. Schon 1845 wird diese Tilsiterkäserei in eine bestehende Gutskäserei in das nahe Adlig Milchbude verlegt. Bis 1884 ist dann bisher eine historische Lücke zu verzeichnen, denn erst 1884 bis 1892 ist ein Heinrich Westphal als Käsefabrikant in Tilsit am Deutschen Thor nachgewiesen ( Thimm, 1892). 1894 bis 1909 lebt seine vermutliche Witwe, Mathilde Westphal geb. Frenzel-Beyme, als Fabrikbesitzerin in Tilsit, Deutsche Straße 38. Von 1924 bis 1930 ist Otto Braun Molkereibesitzer auf dem Grundstück Nr. 38. Laut Adressbuch der Stadt Tilsit heißt die Firma noch 1933 bis 1936: Westphal Nachfolger, Inhaber Otto Braun ( Riedel, 2006). Sie wurde 1938 von den Gebrüdern Glietz bzw. 1944 von Ewald Glietz übernommen.
Das Adressbuch des Jahres 1913 weist nach, dass der Landkreis Tilsit 13.350 Einwohner hatte. Während der Name "Klunk" in dieser Zeit im Kreis nicht mehr nachweisbar ist, ist er noch 1929 dreimal in der Stadt Memel zu finden, d.h. dass es sich wohl um einen ostpreußischen Namen handelt ( Eugen, Henriette und Herbert Klunk). Der Name "Westphal" taucht dagegen im Tilsiter Adressbuch 1913 sogar 38-mal auf.
Im Landkreis Tilsit, einem durch die Milchwirtschaft geprägten Kreis, sind im gleichen Jahr 12 Meiereien und 11 Käsereien nachgewiesen, in der Stadt Tilsit selbst eine Meierei ( Rudolf Nötzel ), ein Käsefabrikant ( Eduard Pöppel ) und ein Käsehändler ( Gustav Prucknus ); einen Käsefabrikanten Westphal gibt es 1913 nicht mehr.
Da im oben genannten Adressbuch neben den Namen auch land- und milchwirtschaftliche Berufe ausgewiesen werden, seien sie hier aufgeführt:
- Landwirtschaft
Melker (15 x), Obermelker (5 x), Untermelker (2 x), Schweizer (13 x), Oberschweizer (9 x), Unterschweizer (7 x),
Milchfahrer (7 x), Kuhfütterer (3 x), Stalljunge (1 x), Hirt (2 x), Hausmädchen (2 x), Manufakturist (1 x), Inspektor (2 x)
- Milchwirtschaft
Käserin (8 x), Käser (7 x), Käsereigehilfe (6 x), Käsereilehrmädchen (1 x), Käsereilehrling (1 x), Meiereigehilfe
(6 x), Meierin (5 x), Meier (1 x), Maschinist in Käserei (1 x)
In den Gütern „Birjohlen“, das 4,5 km südöstlich von Tilsit lag und zum Kirchspiel Tilsit gehörte und seit 1938 „Birgen“ hieß (Gut und drei große Höfe; 1913 Gutsbesitzerin Eva Jonas), und „Adlig Milchbude“ bei Tilsit ( Erbauung des Gutshauses 1816 durch Joh. Samuel Habedank, * 24.01.1803 in Tilsit, + 04.03.1901 in Milchbude; 1913 Rittergutsbesitzer Fritz Habedank; letzter Gutsbesitzer Hans Karl von Grumbkow.* 12.08.1903 in Berlin, +18.09.1984 in Fallingbostel; es war um 1940 ein Gut mit 300 ha, 300 Beschäftigten und u.a. 85 Milchkühen), die beide bei dem Vorgänger des Tilsiter Käses, dem „Brioler = Birjohlener Käse“ um 1820 eine Rolle spielten und nach Vereinheitlichung der Herstellungsvorschriften durch Frau Westphal um 1840 erstmals als „Tilsiter Käse“ bezeichnet wurde, ist um 1913 kein Käse mehr hergestellt, aber noch Milch produziert worden. Diese wurde an umliegende Meiereien und Käsereien geliefert. Um 1938 wurde das Gut Adlig Milchbude als Ortsteil nach Plauschwarren eingemeindet und existiert heute nicht mehr. Vor 1890 muss dort aber noch Tilsiter Käse hergestellt worden sein, da die Schweizer Otto Wartmann und Hans Wegmüller aus dem Kanton Thurgau dort die originale Herstellungsvorschrift kennenlernten und schon 1893 in die Schweiz überführten.
Die genaue Lage von Birjohlen und Adlig Milchbude sowie Ansichten ihrer Gutshäuser im ehemaligen Landkreis Tilsit sind auf heutigen Karten nicht mehr zu finden, aber noch auf alten Karten und in Bildarchiven auffindbar (siehe: www.verein-milch-und-kultur.de, unter „Sammlungen, Frau Westphal“ und www.Bildarchiv-Ostpreussen.de 014224/811 und 007795/1210-9).
Neben neun Meiereibesitzern und vier Meiereipächtern, von denen eine ( Willkischken ) von einem Schweizer besessen wurde ( Christian Dürrenmatt ), existierten 1913 noch vier weitere Käsereipächter, von denen zwei - den Namen nach - eventuell auch Schweizer waren. Einwanderer aus der Schweiz haben ja bekanntlich nach der Pest 1709/10, d.h. zwischen 1716 bis 1730 sowie 1770/71 ebenso wie mennonitische Glaubensflüchtlinge aus Holland schon früh eine große Rolle bei der Milchgewinnung, ihrer Verarbeitung und Käseherstellung in Ostpreußen gespielt. Nach Reimer (1963) haben sich die mennonitischen, zum Teil wohl käseherstellenden Gemeinden Tragheimerweide, Königsberg, Memelniederung und Kazun als spätere Gründungen im 17. Jahrhundert erwiesen, wobei sich diese mennonitischen Familien dort mit anderen, schon ansässigen vermischten. Namen, die holländischer Herkunft sein könnten und milchwirtschaftlichen Bezug zum Landkreis Tilsit haben, sind nach Reimer die Namen „Braun, Neumann, Petersen, Richert, Stenzel und Toews“.
Der angebliche Schweizer “Nessloff“, der Frau Westphal bei der Tilsiterherstellung angeleitet haben soll ( Schützler, 1933 ), taucht als untypischer Schweizer Name 1913 im Adressverzeichnis nicht mehr auf. Dieser Name soll nach Angaben des Gutsbesitzers H.K. von Grumbkow, der 1933 Gutsbesitzer von Milchbude war, nach alten Gutsakten auf den Tilsiter Kaufmann „Nesselhauff“ zurückzuführen sein, der das Gut Milchbude um 1803 eine Zeitlang betrieb. Vermutlich sind die Namen „Nesselhauff“ und „Nessloff“ identisch. Ob er, wie vermutet, ein Schweizer war, ist heute nicht mehr bekannt. Streit gibt allerdings 2010 an, dass der Name „Nessloff“ noch heute im Schweizer Kanton Glarus existiert, weshalb dieser Name wahrscheinlicher ist.
1913 war eine Meierei im Besitz einer Frau ( Henriette Niederstraßer in Absteinen) und eine Käserei in Pacht durch Frau Erdme Smettons ( Strasden ). Die Privatmeiereien ( auch hier der norddeutsche Ausdruck ) lagen in Absteinen
( Otto Toews; Henriette Niederstraßer ), in Kaltecken ( Georg Katillus ), Kreywöhnen ( Wilhelm Gelhaar ), Pokreken
( Gustav Leitzke ), Tilsit ( Rudolf Nötzel ), Rucken ( Jankel Rachmann ), Ußkullmen ( Rudolf Schweiger ) und Willkischken
( Christian Dürrenmatt ).
Die Meiereipächter hatten Betriebe in Argeningken - Graudßen ( Fritz Damerau ), Bartken (Ensies Bußat ), Kowgirren
( Karl Schaltin ) und Neu Jägerischken ( Walter Taruttis ).
Die Privatkäsereien legen in Barsuhnen ( Johann Ringies ), Neu Argeningken ( Johann Ufer), Passon - Reisgen
( Michael Lyment ), Robkojen ( Theodor Stenzel ), Senteinen (Johann Jurgeleit ), Ußkamonen ( Otto Hennig ), und Wartulischken ( George Petkat ).
Gepachtete Käsereien waren Estrawischken ( Ernst Stegmann ), Nattkischken ( H. Mendler), Strasden ( Erdme Smettons ), Ußpelken ( Gottfried Knappe ), und Wartulischken ( Adolf Meyer ).
Der Ort „ Kaßemeken“ ( „ Käsemachen“) wird 1913 nicht mehr als Ort einer Käserei aufgeführt, deutet aber auf intensive Käseherstellung schon nach 1700 bei Tilsit hin.
Aus den Namen und denen ihnen zugeordneten Berufen, die im „Adressbuch des Landkreises Tilsit“ stehen, kann man desweiteren schließen, dass der Beruf Meierin und Meier auch noch in Gillanden ( Anna Schwokowski ) und Raukotienen ( Ida Sedat ) ausgeübt wurde.
Da auch Käserinnen und Käser, Käsereigehilfen, Käsereilehrmädchen und Käsereilehrlinge als Berufe aufgeführt werden, was auf Haus- oder Kleinkäsereien in diesen Orten schließen lässt, seien diese hier ebenfalls alphabetisch aufgeführt. So in:
- Alt Stremelinen ( Ida Jurkeit )
- Augustwilken ( Michael Roeßies )
- Bennigkeiten ( Adolf Papendick )
- Bistomischken ( Albert Ponel )
- Coadjuthen ( Emil Sziegaudt )
- Eistrawischken ( Anna Lymand / Lehrmädchen)
- Groß Bersteningken ( Franz Riechert )
- Groß Lumpönen ( Karl Simund )
- Großpelken ( Ottilie Niemand )
- Gudden ( Otto Jestrimsky )
- Kallehnen ( Helene Wirbeleit )
- Kallkappen ( Hugo Petersen )
- Kullmen - Jennen ( Martha Neumann )
- Laugszarren ( Martha Wallner )
- Neu Jägerischken ( Emil Jurkat )
- Plaschken ( Ida Kamann )
- Piktupönen ( Paul Schiemann )
- Strasden ( Eugen Landt )
- Wesmeningken ( Johann Luttkus )
- Wittschen ( Johann Gerber; ein Schweizer ?)
Keine dieser hier aufgeführten Käserinnen hat allerdings die Berühmtheit von Frau Westphal erlangt, aber alle haben vermutlich guten Tilsiter Käse hergestellt, der zum Weltruhm dieser Käsesorte führte.
Aus den Berufen kann man ebenfalls schließen, dass im landwirtschaftlichen Bereich (Melker und Schweizer ) überwiegend Männer beschäftigt waren, und in der Milchverarbeitung ( Meierinnen, Käserinnen ) vielfach Frauen verantwortlich und mitverantwortlich waren. Ob dies durch Berufswahl, handwerkliches Können, Geschäftssinn. Ehen und/ oder Verwitwung geschah, ist heute nicht mehr zu klären. ähnliches war auch im Käsereigebiet des linken Niederrheins bei der Herstellung von Goudakäsen üblich.
Über im Landkreis Tilsit produzierte Milchprodukte ist außer dem berühmten „Schmand = Sahne“ in bezug auf Käse und weitere Milchprodukte der Meiereien und Käsereien derzeit wenig bekannt, da es auch an einschlägigen Molkerei- und Käsereiadresskalendern und sonstigen Statistiken dieser Zeit fehlt ( vermutlich Rahm, Quark und Butter).
Das „Milchwirtschaftliche Taschenbuch“, das von 1878 bis 1938 im Verlag Paul Parey in Berlin erschien und erst ab dem 8. Jahrgang 1884 in Bibliotheken verfügbar ist, und später auch ein „Reichsadressbuch der Molkereien“ enthielt, wurde bisher zu dieser Thematik noch nicht ausgewertet, Es ist anzunehmen, dass es bei Käse vor allem der beliebte „ Tilsiter“ war, der der einzige eigenständige, in Deutschland entwickelte Käse ist.
Inwieweit nach Ostpreußen eingewanderte mennonitische Holländer oder / und Schweizer das Herstellungsverfahren dieses Käses beeinflussten, ist selbst unter Molkereifachleuten und Käsereifachautoren noch nicht völlig geklärt, aber sehr wahrscheinlich ( vgl. „Sammlungen“ und „Frau Westphal“ unter: www.verein-milch-und-kultur,de sowie Roeb und Riedel, 2009). Im Jahr 1723 boten mennonitische Frauen auf dem Königsberger Markt 400 Tonnen „Mennonitenkäse“, der später auch als „Tilsiter „ bezeichnet wurde ( Mennonite, 1954; Jost Voth, 1999).
1895 boten jedoch bereits die Schweizer Käsehersteller Otto Wartmann und Hans Wegmüller aus dem Kanton Thurgau sowie der Schwyzer Carl Schwyter auf der Landwirtschafts- und Milchwirtschaftsausstellung in Bern Tilsiter Käse als für die Schweiz neue, dort selbst hergestellte Käsesorte an ( Wartmann, 1984 ). 1903 wurden auf der gleichen Ausstellung schon 17 Schweizer Tilsiter Käse ausgestellt, deren Qualität aber kritisiert wurde (www.kulinarischeserbe,de). Noch heute im Jahr 2010 ist der Tilsiter Käse in der Schweiz, allerdings mit anderer Lochung und anderem Geschmack als im damaligen Ostpreußen ein beliebter Käse; Geschmack und Geruch sowie Schmiere sind aber unvergleichbar.
Literatur:
- Genealogy.com :
- über Google.de; Historische Adressbücher; Liste aller Orte:
- Adressbuch des Landkreises Tilsit, 1913;
- Adressbuch der See- und Handelsstadt Memel, 1929
- Gübeli, Friedrich: Schweizer Käser im Baltikum; Schweizerische Milchzeitung
80. Jg. (1954)
Nrn. 54, 55, 56, S. 331, 335, 343 - 344
- Hauser, Albert: Schweizer Bauern als Kolonisten in Preußen und Litauen;
Agrarpolitische Revue 21. Jg. (1965)
Heft 5, S. 188 - 197
- Hitzigrath, Otto: Die ostpreußische Schweizerkolonie nach den Schweizerlisten
von 1710 - 1751;
Altpreußische Geschlechterkunde, Neue Folge
8. Jg. (1960) Nr. 1/5, S. 165 - 168
- Jost Voth, Norma: Mennonite Folkways: The Polish-Prussian Mennonite Kitchen;
California Mennonite Historical Bulletin No.37 (1999) Dec., S.
1 - 4
- Kenkel, Horst: Französische Schweizer und Réfugiés als Siedler im nördlichen
Ostpreußen (Litauen) 1710 - 1750. Unter Auswertung des
Nachlasses von Bernhard Haagen; Sonderschriften des Vereins
für Familienforschung in
Ost- und Westpreußen e.V., Nr. 13, Hamburg 1970; Im Selbstverlag des Vereins
- Kenkel, Horst: Grund- und Häuserbuch der Stadt Tilsit 1552 - 1944, S. 94 - 95
- Lange, D.: Geographisches Ortsregister Ostpreußen 2005:
Birjohlen ( seit 16.07 1938 Birgen)
- Lauks, Hildegard: Tilsit - Bibliographie; Verlag Norddeutsches Kulturwerk
Lüneburg 1983; Tilsiter Käse,
Literatur-Nrn. 1594 - 1627
- Mennonite Pub-lishing House: The Mennonite Encyclopedia, Vol. 2; Scottsdale, Pa., 1954, S. 312
- Reimer, Gustav E.: Die Familiennamen der westpreußischen Mennoniten, S. 91 -
121 in: H. Penner,
Ansiedlung mennonitischer Niederländer im
Weichselmündungsgebiet von der Mitte des 16. Jahrhunderts
bis
zum Beginn der preußischen Zeit, 2. Auflage 1963; Heraus-
gegeben vom Mennonitischen Geschichtsverein Weierhof /
Pfalz
- Riedel, C.-L.: Frauen und die Erfindung von Käse; Merkblatt mit Literatur;
MLUA Krefeld, Stand Juni 2006
- Roeb, F. und Der Tilsiter Käse - Geschichte und Gegenwart; Deutsche
C.-L. Riedel: Molkerei-Zeitung 113.
Jg. (2009), Heft 2, S. 7 bis 10
- Schütz, Fritz: Französische Familiennamen in Ostpreußen aus der Zeit der Schweizerkolonie;
Ostpreußischer Heimatverlag Gebr. Reimer Gumbinnen 1933
- Schützler, Kurt (Dr.): Kurze Geschichte der ostpreußischen Käserei und des Tilsiter
Käses, Hildesheim 1933,
S. 1 - 51; besonders S. 28 , 29 und
51 (Anmerkung 60)
- Storost-Vydunas, W.: Sieben Hundert Jahre Deutsch-Litauischer Beziehungen;
Ruta-Verlag Tilsit 1932 und
Chicago, Illinois, USA 1982; S. 262 - 263, 282 - 284, 355, 372 - 37
- Streit, Kurt: Persönliche Mitteilung 22.3.2010 ( Gipf-Oberfrick/Schweiz)
- Thimm, Rudolf: Aus Tilsits Vergangenheit; 2. Ausgabe, Verlag von Wilhelm Lohauß, Tilsit 1888 - 1892
in 5 Teilen; Teil 4, S. 255
- Verein Milch & Kultur: www.verein-milch-und-kultur.de (Köln, 2010)
- Wartmann, Margrit: Der Holzhof im 19. Jahrhundert. Mehr als eine Familien- und Betriebschronik, Zürich 1984
- Westphal, August: westphalmansioninn.com ( Hartford/Wisconsin / USA)
- Westphal, Henriette: Tilsiter. Unser Haus. 1887 ( Wikipedia )
- Wikipedia: www.kulinarischeserbe.ch
Stand: 24. Januar 2010
Sonderdruck aus Altpreußische Geschlechterkunde
Band 41, 59. Jahrgang, 2011, S. 397 bis 402