Bei der Suche nach Denkmalen und Gedenkplatten für berühmte, namentlich bekannte Frauen der Milch-, Butter- und Käsereiwirtschaft stieß ich neben Marie Harel (Camembert in Frankreich), Maria Reymer (Holländer Käse im Rheinland bzw. Deutschland), Frances Pawlett (Stilton-Käse in England), Frau Westphal geb. Klunk (Tilsiter in Ostpreußen) auch auf die hölzerne Gedenktafel für Frau Agathe Zeis (* 25. Mai 1840 in Oschatz, † 27. Dezember 1887 in Bern).
Frau Zeis betrieb von 1880 bis zu ihrem Tod eine Molkereischule für junge Mädchen in Radeberg/Sachsen auf dem Gut Heinrichsthal und führte dort um 1883 die Herstellung des französischen Camembert ein. Sie wurde Lieferantin mehrerer deutscher Höfe – belegt durch Urkunden und Auszeichnungen.
Im vorliegenden Werk erwähnt sie allerdings nur "Mager- und Lederkäse" (vgl. S. 27); Camembert fehlt. Die Herstellung wurde erst 1881 durch den König Albert von Sachsen angeregt.
Für ihren Unterricht stellte Frau Zeis ein handgeschriebenes Lehrbuch mit 84 Seiten zusammen, das in Heinrichsthal in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts durch Dipl.-Ing. Erhard Buchholz, damals Molkereifacharbeiter-Lehrling, gerettet wurde und um 1995 an den damaligen Direktor der Heinrichsthaler Milchwerke, Herrn Winrich Lammeck (* 1. Juli.1930, † 21. April 2004) anlässlich seines Geburtstages übergeben wurde.
Im Juni 2008 wurde dieses Manuskript in Radeberg erstmals fotografiert und damit der Nachwelt erhalten. Frau Ina Riedel aus Hannover, meine Mutter, besorgte mit Akribie die Umschrift des Textes, Frau Marina Bela aus Düsseldorf die Abschrift. Besonderer Dank gilt dem Fotografen, Herrn Werner Meyer aus Krefeld und dem Sohn von Herrn Lammeck und heutigen Besitzer des Büchleins, Herrn Geschäftsführer Uwe Lammeck für die Kopiergenehmigung und die Unterstützung dieser Veröffentlichung.
Das Manuskript bzw. Buch, das um 1880 angefertigt sein muss, da Käse kaum erwähnt wird, soll einen Einblick in das Wissen der Zeit vermitteln, als es noch an Lehrbüchern für die Molkereiausbildung fehlte, die allerdings nach der Gründung "Milchwirtschaftlicher Lehranstalten" bald folgten.
Da Frau Zeis, "die Mutter des deutschen Camembert" in ihrem Manuskript keinerlei Abbildungen einfügte, wurden von den Herausgebern 33 Abbildungen von 1889 eingefügt, die ihre Ausführungen ergänzen und erläutern (aus: Carl Pepper, Reval 1889 und Wilhelm Eugling, 1892). Dem Manuskript wurden außerdem Lebensdaten von Agathe Zeis und ihres Mannes beigegeben und durch Mitteilungen der Stadtarchivare (2003) von Bern und Zürich ergänzt. Die Geschichte des Brie und des Camembert soll Frau Zeis in den ge-schichtlichen Zusammenhang bringen.
Carl-Ludwig Riedel Krefeld,
Oktober 2008
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurden durch zahlreiche wissenschaftliche und technische Entwicklungen Grundlagen und Voraussetzungen für die "industrielle" Be- und Verarbeitung der Milch geschaffen. Damit mussten die von Generation zu Generation übermittelten handwerklichen Erfahrungen der Milchverarbeitung in zunehmendem Maße naturwissenschaftlich begründeten Erkenntnissen weichen. Dieser Prozess, der z. B. in der Käsetechnologie schon mehr als 120 Jahre andauert, begann mit der Erfindung des Separators und der gezielten Nutzung mikrobiologischen Wis-sens im praktischen Betrieb. Die Anwendung des neuen Fachwissens setzte die Ausbildung von Molkereifachleuten voraus. Im Gefolge dieser Einsicht entstanden in Deutschland zwischen 1875 und 1900 mehr als 50 Molkereischulen.
Eine dieser Schulen wurde von Agathe Zeis in den Jahren 1880 bis zu ihrem Tode 1887 auf dem Gut Heinrichsthal in Radeberg betrieben. Die überlieferung ihres Lehrmaterials gibt erstmals Inhalte des berufstheoretischen Unterrichts aus einer Zeit wieder, in der dessen Vereinheitlichung noch weit entfernt war. Zur Erarbeitung des Lehrmaterials bediente sich Agathe Zeis der Arbeiten von Böttger (1868) , Martiny (1871) , Arndt (1875) , Rohde (1875) , Fleischmann (1876) , Petersen (1878) u. a. Sie fasste so den zeitgenössischen aktuellen Stand der Kenntnis zusammen, um ihn dem Berufsnachwuchs vermitteln zu können.
Der 1874 in Bremen gegründete Milchwirtschaftliche Verein bat Wilhelm Fleischmann in den 80'er Jahren des 19. Jahrhunderts, ein Lehrbuch, das als Grundlage für den theoretischen Unterricht in der Milchwirtschaft dienen könnte, zu schreiben. Mit dem von ihm 1893 veröffentlichten "Lehrbuch der Milchwirtschaft", das in 7 Auflagen bis zum Jahre 1932 erschien, begann die Vereinheitlichung der berufstheoretischen Ausbildung im Molkereifach. So ist das Lehrmaterial der Agathe Zeis ein einmaliges und frühes Zeugnis der milchwirtschaftlichen Ausbildung in Deutschland und verdient es, bewahrt zu werden.
Dieter Hansen
Berlin,
Oktober 2009
M. Böttger, 1868
B. Martiny, 1871
P. Arndt, 1875
O. Rohde, 1875
W. Fleischmann, 1876
C. Petersen, 1878
Radeberg hat in seiner Geschichte viele namhafte Persönlichkeiten hervorgebracht. Eine der besonderen "Jahrhundert-persönlichkeiten", also einer Persönlichkeit, die wirklich aus dem Rahmen fiel, ist Agathe Zeis, die nicht nur für die Heinrichsthaler Molkerei und Käserei eine besondere Bedeutung hatte. Die europäische Käsekultur verdankt ihr eine ganz besondere Handschrift. Dafür wollte man ihr sogar in Bern (Schweiz) ein Denkmal setzen.
Agathe Zeis, geborene Rudolf, wurde nur 48 Jahre alt (*29. Mai 1840, +27. Dezember 1888). Sie war eine sehr vielseitige Persönlichkeit. Es ging ihr nicht nur um das Produkt Käse, sondern auch um Menschen. So bildete sie u. a. Töchter von Landwirten in der Milch- und Hauswirtschaft aus. Ihr verdanken wir, dass um 1883 der französische Camembert erstmalig in Deutschland, nämlich in Radeberg, produziert wurde. Dieser tatkräftigen Ehefrau des Hermann Alexander Zeis, des damaligen Besitzers der Heinrichsthaler Molkerei und Käserei, gelang noch viel mehr als die Produktion von Camembert und die Ausbildung junger Damen. Sie schrieb ein milchwirtschaftliches Lehrbuch, das in dieser Veröffentlichung, einer Gemeinschaftsarbeit mit dem Verein Milch & Kultur, Köln, eine detaillierte Darstellung erfährt, die in dieser Form noch nicht in der milchwirtschaftlichen Fachpresse vorlag.
Mir erleichtert dieses Werk die mir von meinem Vater, Herrn Winrich Lammeck, mündlich ans Herz gelegte Bitte um Wahrung der Traditionen unseres mittlerweile 130 Jahre alten Unternehmens in die Tat umzusetzen. Mein Vater hatte mir nämlich während meiner Jugend, aufhand der Aufstellung der Gedenkplatte von 1937 für Agathe Zeis, die Geschichte des Hauses erläutert. Doch war diese Tafel seinerzeit schwer lesbar und oberhalb der Augenhöhe angebracht.
In diesem vorliegenden Werk sind alle historischen Fakten – auch die zehn Texte und Urkunden der Tafel – gut sichtbar, leicht nachvollziehbar und gut aufbereitet. Erfreuen Sie sich an der zusammenhängend dargestellten Lebensgeschichte der Familie Zeis und ihrer Nachfolger sowie der Geschichte des Camembert und des Brie!
Dieses einmalige Werk über die Traditionen und Traditionsprodukte unseres Hauses ist den bisherigen, gegenwärtigen und zukünftigen Mitarbeitern der Heinrichsthaler Milchwerke gewidmet. Sie hatten und haben einen beträchtlichen Anteil am stabilen Wachsen und Werden unseres Hauses – und sind somit würdige Nachfolger der Gründerin dieser Meierei und Käserei:
Frau AGATHE ZEIS!
Uwe Lammeck Radeberg,
Geschäftsführer
Heinrichsthaler Milchwerke
Radeberg
Juli 2010