Einführung
Die Erfindung der Milchzentrifuge durch die Gebrüder A. und A. Prandtl im Jahre 1875 sowie Verbesserungen durch G. de Laval 1878 und C. Freiherr von Bechtolsheim (Erfindung des Tellereinsatzes; erste Alpha- , später Alfazentrifuge) und ihre Einführung in den praktischen Molkereibetrieb führte zu einem Aufblühen des Genossenschaftswesens. Schon vor dieser Erfindung sind in rascher Folge sogenannte "Freie Genossenschaftsmolkereien" (1862 in Cismar/ Holstein und Preetz an der Ostsee) entstanden; private und städtische Molkereien folgten.
Bereits 1866 ist es in Bitburg zur Gründung der ersten Genossenschaftskäserei durch Friedrich Wilhelm Raiffeisen mit 500 kg Milchverarbeitung und 35 Mitgliedern gekommen (Fleischmann, 1882, S. 96; Schwarz, 1939; Hahn, 1972).
Eine weitere Molkereigenossenschaft wurde am 1. Januar 1882 in Trier gegründet; 1893 folgten Imgenbroich/Eifel, 1894 Niederaußem im Erftkreis und Waldfeucht bei Heinsberg. 1902 gab es bereits mehr als 200 Molkereigenossenschaften in der Rheinprovinz (N.N., 1902).
1890 gab es in ganz Deutschland zur Fachausbildung insgesamt 28 Molkereischulen, davon 9 für junge Männer, 14 für junge Mädchen und 5 für Leute beiderlei Geschlechts. An acht weiteren Orten wurden regelmäßig kürzere milchwirtschaftliche Lehrgänge abgehalten (Martiny, 1890)
Die erste größere Lehranstalt wurde in Kiel gegründet (1877). Es folgten Proskau in Schlesien und Haus Geist/Oelde bei Beckum (1878), Weihenstephan (1885), Memmingen (1888, seit 1908 Kempten), Prenzlau (1890, seit 1923 Oranienburg), Greifswald (1890, später Stettin), Güstrow (1891), Hameln (1891; 1934), Fulda-Lauterbach (1895), Wreschen bei Posen (1897), Zülpich im Rheinland (1902), Wangen (1911), Oelde (1920, ab 1921 in Münster), Halle/Saale (1928, ab 1939 Halberstadt), Oldenburg (1934) sowie Malente (1935), Triesdorf und Gelnhausen (1947). Die genannten Lehranstalten sind bzw. waren bis auf Gelnhausen seit ihrer Gründung mit Untersuchungsanstalten verbunden und als Molkerei-Lehr- und Untersuchungsanstalten (MLUA) von den zuständigen Landwirtschaftskammern staatlich anerkannt und staatlich unterstützt worden (Schwarz, 1939).
Gründung der Anstalt
Die rheinische MLUA, die bis 1952 "Molkerei-Lehr- und Versuchsanstalt (MLVA) hieß (daher umgangssprachlich "Molkereischule") wurde 1902 durch die Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz in Zülpich (damals eine der größten Molkereien der Provinz mit mehr als 12 000 l Milchanlieferung pro Tag) ausschließlich als Molkereischule gegründet. Sie war durch einen Vertrag der Molkerei angegliedert, wurde jedoch 1906 zur Verbesserung der Käsereiausbildung nach Griethausen und 1911 nach Kleve an den Niederrhein verlegt; dort im September und am 4. Oktober 1944 durch Bomben zerstört und 1952, nach der Neustrukturierung des Landes Nordrhein-Westfalen, in Krefeld neu errichtet. Hierzu schenkte die Stadt Krefeld der Landwirtschaftskammer Rheinland das entsprechende Grundstück (Dibbern, 1959). Seit 1911 ist die MLUA auch als milchwirtschaftliche Untersuchungsanstalt für Landwirte und Molkereien tätig; bis dahin wurden Untersuchungen in der landwirtschaftlichen Versuchsstation in Bonn vorgenommen.
Untersuchungstätigkeit
1930 gab es im Rheinland 148 Genossenschaften und 79 Privatbetriebe, in Westfalen 88 Genossenschaften und 146 Privatmolkereien (Schürmann, 1930), für die zwei Milchwirtschaftliche Lehr- und Versuchsanstalten in Cleve und Münster tätig waren.
Die Untersuchungstätigkeit der MLVA Cleve ist den Jahresberichten der Landwirtschaftskammer zu entnehmen. 1912/1913 wurden 782, 1930/1931 schon 12 054 Untersuchungen vorgenommen. Diese Untersuchungen wurden durch einen Chemiker als milchwirtschaftlichem Assistenten und eine Laborantin vorgenommen, die auch für die Vereine "Käsekontrolle e. V. = Käsekontrollstation der LWK für die Rheinprovinz" und "Molkereikontrolle e. V." tätig wurden und z. B. Fett und Trockenmasse der Käse kontrollierten (1925 - 263, 1930 - 354 Proben) sowie Prämien und Diplome an die Käser der angeschlossenen Käsereien verteilten. Markenware wurde daraufhin mit Stempel inclusive Reichsadler versehen.
Zur Verbesserung der Rohmilchqualität war mit Hilfe der MLVA durch 16 Kontrollbeamte am 26. März 1925 in Cleve eine "Kontrollvereinigung rheinischer Molkereien" geschaffen worden, die die Qualitätsbezahlung und -bewertung der Rohmilch zum Ziel hatte. Im Jahr 1930 waren bereits 154 Molkereien mit ca. 32 000 Landwirten als Mitglieder angeschlossen (598 000 Untersuchungen).
Der Direktor der Anstalt L. Müller entwarf für die Kennzeichnung von Käse erstmals entsprechende Kontrollmarken (Abb. 1) und führte als erster die Bezahlung der Rohmilch nach Grundpreis und Fettgehalt ein. Des weiteren sind ihm die Schmutzproben und die Bezahlung der Milch nach Qualität zu danken (Haeffner, 1952). Im gleichen Jahr wurde in der Rheinprovinz eine ständige monatliche Butterkontrolle eingerichtet und der o. g. Kontrollvereinigung angeschlossen. Geprüft wurden Beschaffenheit, Aussehen und Verpackung der Butter. Bei Bestehen der Butterprüfung verlieh die Landwirtschaftskammer das Recht zur Führung einer Buttermarke.
Andere Untersuchungen betrafen Rahmproben auf sensorische Fehler, Butter auf Fett und Zusätze, Lab, Salz und Sole auf Brauchbarkeit, Quark auf schädliche Bestandteile, bakteriologische Wasseruntersuchungen sowie chemische Analysen von Verpackungsmaterial, z. B. von Pergamentpapier und Stanniolfolien (Müller, 1931). Eine freiwillige Konsummilchkontrolle erfolgte seit 1928 mit der Einführung einer Milchmarke im Rheinland. Man prüfte Fettgehalt, spezifisches Gewicht, Reinheitsgrad, Haltbarkeit, Säuregrad am 1. bzw. 2. Tag nach Probenahme, Aussehen, Geruch und Geschmack (Haeffner, 1952). In Cleve wurden daraufhin z. B. 1929 in sechs Prüfungen 404 Proben von 65 Molkereien geprüft.
Lehrmolkerei
1928 wurde die Lehrmolkerei neu gebaut und die Verarbeitungskapazität von 1500 l (seit 1911) auf 3000 l Milch Tagesverarbeitung erhöht.
Produkte waren Frischmilch in Kannen, Kindermilch in Flaschen, Schulmilch und Trinkschokolade, Schlagsahne, Butter, Buttermilch in verschiedener Form, Mager- und Sahnequark sowie Hollländer Käse. Letzterer wurde über die Vereinigung Rheinischer Molkereien (VRM) Krefeld abgesetzt, die übrigen Produkte direkt in Cleve.
1933 - 1945
Die Arbeit der Anstalt wurde durch die Gründung der Milch- und Fettwirtschaftsverbände in den Jahren 1934/1935 empfindlich getroffen, da die wirtschaftlich sehr starken Marktverbände einen Teil der Untersuchungen für sich beanspruchten und der MLVA nur noch Teilaufgaben, d. h. nur noch die reine Analytik ohne Zusammenhang mit der Beratung von Molkereien überließ (Haeffner, 1952).
Nach 1935 wurde die Milchbakteriologie auf breiter Basis in die Untersuchungstätigkeit eingeführt, d. h. Keimzahl und Coliformen-Nachweis, die beide in das Spektrum der nun obligatorischen Milchprüfungen aufgenommen wurden.
Mit dem Beginn des 2. Weltkrieges wurden die Lehrgänge in Kleve fast vollständig eingestellt, der Anstaltsleiter für etwa zwei Jahre zum Wehrdienst eingezogen, so daß von 1943 bis zur Zerstörung des Hauses im September 1944 und vollständig am 7. Oktober 1944 ausschließlich Untersuchungstätigkeiten zu verzeichnen waren. Nach der Zerstörung der Anstalt durch Bomben zogen die verbliebenen Mitarbeiter Ende 1945 in die ehemalige Kontrollassistentenschule in Kleve ein (Melkerschule in Kellen bei Kleve).
Neubeginn
Der Hauptausschuß der LK Rheinland beschloß aufgrund dieser Zerstörung und eines im 2. Weltkrieg nicht mehr zustande gekommenen MLUA-Neubaus in Koblenz 1950 einen Neubau der MLUA in geographisch günstiger Lage für das Rheinland in Krefeld zu errichten.
Die Stadt Krefeld schenkte der Landwirtschaftskammer hierzu ein Grundstück in der Westparkstraße (Dibbern, 1959). Am 17. September 1952 wurde die Anstalt durch den Landwirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Heinrich Lübke eingeweiht, wobei ein Teil des Hauses als Staatliches Veterinäruntersuchungsamt diente und erst ab 1968 für die dann auf westfälische Molkereilehrlinge erweiterte Berufsschulausbildung zur Verfügung stand. Gleichzeitig wurde ein Neubau für Außendienststellen der LK Rheinland an der Müller-Brüderlin-Straße geschaffen und das Internat im "Altbau" von 1952 von 24 auf 75 Betten erweitert.
Ab 1948 wurden - von der Berufsschule Kleve nach langen Verhandlungen akzeptiert und durch Kultuserlaß geregelt - sechswöchige Berufsschullehrgänge in zwei neueingerichteten Molkereifachklassen vorgenommen, da der allgemeine Berufsschulunterricht nicht den Anforderungen der Molkereiwirtschaft entsprach.
Für die Fortbildung wurden ab 1948 in Kleve bzw. 1952 in Krefeld dreimonatige Fortbildungslehrgänge zum "Obermeier" bzw. "Molkereiassistenten" und fünfmonatige zum "Molkereimeister" abgehalten. Erst 1973 kam es aufgrund einer neuen "Molkereimeister-Verordnung" zu etwa zehnmonatigen Lehrgängen (mind. 1100 Unterrichtsstunden) und zum Verschwinden der Bezeichnung des Obermeiers.
Eine Lehrmolkerei existierte 1952 noch nicht; sie wurde in kleinen Schritten ab 1955 im Souterrain aufgebaut und als Vollbetrieb 1983 nach zwanzigjährigen intensiven Diskussionen in den Beiräten der Anstalt und den Verbänden von der LK Rheinland mit finanzieller und technischer Unterstützung der Molkereiwirtschaft und des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin in Betrieb genommen. Sie erlaubt die Herstellung von ca. 20 Milchprodukten. Der Westparker Käse, ein Käse nach Gouda-Art, 1984 getauft durch den Oberbürgermeister D. Pützhofen, hat sich als besonders erfolgreich erwiesen.
Zahlen über Schüler (Molkereifachleute) in der Vorkriegszeit existieren leider nicht mehr, da fast alle Unterlagen durch Kriegseinwirkung verloren sind (Haeffner, 1952). Bekannte Zahlen von Obermeier- bzw. Molkereiassistenten- und Meisterkursen von 1933 bis 1998 sind in Tabelle 1 zusammengestellt.
Tabelle 1
Teilnehmer an Fortbildungslehrgängen von 1933 bis 1998 nach Lehrgangsbüchern der MLVA Kleve
bzw. MLUA Krefeld
* Keine Lehrgänge: 1939, 1940, 1944 - 1947, 1975 - 1980, 1983 - 1984, 1986 - 1987
Von 1952 - 1967 wurden zusätzlich 103 Laborantenlehrlinge ausgebildet, so daß 1968 erstmals eine "Ausbildungsrichtlinie für Milchwirtschaftliche Laboranten" nötig und 1988 eine eigene Verordnung für diesen Beruf erlassen wurde, der zum Berufsfeld Laborant gehört.
Für Molkereifachleute wurden, wie seit 1948 üblich, sechs Wochen Berufsschule pro Lehrjahr erteilt, die ab April 1972 durch einen einwöchigen Melkerlehrgang auf Haus Riswick bei Kleve ergänzt werden. Ab Herbst 1983 sind sechs Wochen überbetriebliche Ausbildung (ÜA) in der neueingerich-teten Lehrmolkerei dazugekommen, die die betriebliche Ausbildung ergänzen sollen. Ab 1991 haben Milchwirtschaftliche Laboranten statt acht Wochen zwölf und Molkereifachleute im 2. und 3. Ausbildungsjahr ebenfalls zwölf Wochen Berufsschule. Ab 1998/1999 trifft dies auch für das 1. Jahr zu, wobei die Berufsschule eng mit der ÜA verknüpft wird (Notengebung, Erhöhung der Fachkompeteenz).
Molkereimeister werden seit 1994 nach einer neuen Verordnung fortgebildet und sind seit dieser Zeit u. a. zur Anfertigung einer Meisterarbeit verpflichtet.
In der Tabelle 2 sind die Gesamtschülerzahlen ab 1968 nach Herkunft der Schüler dargestellt.
Tabelle 2
Lehrgangsteilnehmer und deren Herkunft von 1968 - 1998
Tabelle 3
Untersuchungstätigkeit der MLVA/MLUA in Kleve und Krefeld
(ab 17.09.1952) von 1950 bis 1997.
Auszug aus den Jahresberichten der Landwirtschaftskammer Rheinland (Proben bzw. Untersuchungszahl*)
* Probenzahl mal beauftragte Kriterien = Gesamtuntersuchungen
** Übergang von monatlicher auf die zweimonatliche Güteprüfung nach Landes-Güteverordnung Milch
Nordrhein-Westfalen (ab 01.01.1997); Butter und Käse weiter monatlich.
Heutige Untersuchungstätigkeit
Die Untersuchungen der MLUA, die seit jeher etwa die Hälfte der Aufgaben ausmachen, werden nach amtlichen Methoden des § 35 LMBG, nach ISO-, IDF-, DIN-, VDLUFA- und akkreditierten Hausmethoden abgewickelt. Auftraggeber der seit 30.10.1996 nach DIN EN 45 001 akkreditierten Untersuchungsanstalt sind Molkereien und Lebensmittelunternehmen des In- und Auslandes. Zunehmend werden deshalb auch Exportzertifikate ausgestellt. Da die Exportzertifikate der MLUA Krefeld z. B. auch vom japanischen "Ministry of Welfare and Health" in Tokio anerkannt sind, verringern sich für die deutschen Molkereien die Exportkosten je Charge wesentlich.
In Tabelle 3 sind Proben und Untersuchungszahlen seit 1950 zusammengestellt.
Andere Aktivitäten
Seit 1902 begleitete ein Kuratorium von Fachleuten aus der Land- und Molkereiwirtschaft das Wirken der MLVA, der späteren MLUA. Von 1952 bis 1980 waren dies zwei Beiräte für Lehre und Untersuchung, ab 1980 wieder ein Kuratorium. Die Arbeit des Kuratoriums stand und steht seit Anbeginn unter der Maxime: "Förderung der rheinischen Milchwirtschaft in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht auf jede sich bietende Art".
Auch der Landesverband Westdeutscher Molkereifachleute und Milchwirtschaftler e. V. hat die Förderung der Tätigkeit der MLUA in seiner Satzung verankert.
Seit 1912 existiert der "Verein Ehemaliger Schülerinnen und Schüler der Milchwirtschaftlichen Lehranstalt Kleve-Krefeld", der zur Zeit 432 Mitglieder hat. In dreijährigen Treffen werden die kollegialen Verbindungen gepflegt, die Fortbildung gefördert und die Lehranstalt auch finanziell sowie moralisch unterstützt.
Ausblick
Je Ausbildungsjahr passieren derzeit etwa 150 Schüler die MLUA (vgl. Abb. 2), die in 38 Molkereiunternehmen in zwei Berufen durch 83 Ausbilder ausgebildet werden. Von acht deutschen Milchwirtschaftlichen Lehranstalten nimmt die MLUA Krefeld seit Jahren den vierten Platz ein. Im einzelnen sind es je Klasse 6 - 10 Molkereimeisterschüler, 20 - 25 Molkereifachleute und 25 - 30 Milchwirtschaftliche Laboranten. Sie sind in einem modernen Internat mit 73 Betten untergebracht. Die Lehranstalt verfügt neben einer modernen Lehrmolkerei (500 - 1000 l Milch verarbeitung pro Tag) inclusive einer 150 l-UHT-Pilotanlage über zwei Praktikumräume (Chemie/Physik, Mikrobiologie), drei Hörsäle, je einen EDV-und Sensorikraum sowie über eine gut ausgestattete Schülerbibliothek. Die Schüler werden aus einer eigenen Küche verpflegt, verfügen über zwei zusätzliche Kleinküchen im Internat und drei Aufenthaltsräume.
Die Untersuchungsanstalt, die jährlich ca. 50 000 Untersuchungen abwickelt, ist durch die Akkreditierung gut für die Zukunft gerüstet. Lehre und Untersuchung befruchten sich in idealer Weise gegenseitig, so daß auch die Zukunft als Dienstleister für die Molkereiwirtschaft gesichert erscheint.